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Interview mit dem Obermeister der Konditoren-Innung

Kaffeehaussterben: „An den Kunden liegt es nicht“

Münster

Bald schließt mit dem Café Grotemeyer eines der letzten Kaffeehäuser in Münster. Unsere Zeitung hat mit dem Obermeister der Konditoren-Innung, Ralf Ilgemann, darüber gesprochen, was das Kaffeehaussterben für seine Branche und für die Attraktivität Münsters bedeutet.

Martin Kalitschke

Ralf Ilgemann, Inhaber des „Café Classique“, ist Obermeister der Konditoren-Innung. Foto: kal

Das Café Grotemeyer wird am 23. März seine Pforten schließen. Damit geht das Kaffeehaussterben in der Innenstadt weiter. Wo liegen die Gründe – und was muss ein zeitgemäßes Café heute bieten? Darüber sprach unser Redakteur Martin Kalitschke mit Ralf Ilgemann. Der Inhaber des „Café Classique“ ist Obermeister der Innung „Die Konditoren“ für das Gebiet Ostwestfalen, Münster und die Kreise Borken, Coesfeld und Warendorf. Sie hat mehr als 60 Mitglieder.

Herr Ilgemann, in der Innenstadt geben immer mehr Kaffeehäuser auf. Macht Ihnen das Angst?

Ilgemann: Ich bin seit 30 Jahren in der Branche, und ich muss sagen, dass das eine erschreckende Entwicklung ist. Dabei ist es zum Teil auch hausgemacht, dass einige Konditoren aufgeben. Es wird nämlich immer schwerer, einen Nachfolger zu finden. Man muss sich früh darum kümmern. Ich mache mir bereits jetzt Gedanken, wie es einmal weitergehen wird – dabei bin ich noch nicht einmal 50.

Warum ist das so schwer?

Ilgemann: Ohne Idealismus kann man in dieser Branche nicht bestehen. Bei mir dauert ein Arbeitstag bis zu 14 Stunden. Morgens um 6 Uhr gehe ich in die Backstube, um Torten und Pralinen herzustellen. Wenn unser Laden um 18.30 Uhr schließt, ist der Arbeitstag noch nicht zu Ende. Meist komme ich nicht vor 19.30 Uhr raus. Was ich damit sagen will: Konditor ist kein Beruf, es ist eine Berufung. Entweder man macht das gerne und kann es – oder man hat keinen Bock, und es funktioniert nicht.

So geht das sieben Tage die Woche?

Ilgemann: Genau. Schließlich müssen die Mietkosten erwirtschaftet werden, und das Personal, das seit Jahren für einen arbeitet, möchte auch mal eine Lohnerhöhung sehen.

Was kann man heute für ein Stück Torte verlangen?

Ilgemann: Im Café zwischen drei und vier Euro.

Und die Kunden sind auch bereit, das zu zahlen?

Ilgemann: Ja – wenn die Qualität stimmt.

Wie viele klassische Konditoreien gibt es eigentlich noch in Münster?

Ilgemann: Vier – „Café Issel“, „Café Mönnig“, „Die Tortenmacher“ und uns.

Früher waren es mehr als doppelt so viele. Sind Kaffeehäuser aus der Mode?

Ilgemann: Wenn ich unser Café anschaue, kann ich ganz klar sagen: Nein. Bei uns ist immer eine Menge los, bei gutem Wetter bekommt man draußen kaum einen Platz. Ich denke, dass moderne Kaffeehäuser aktuell stark angesagt sind.

Es sind also nicht die Kunden schuld, wenn Kaffeehäuser schließen?

Ilgemann: Nein. Wenn die Betreiber das Ohr am Kunden haben und ihm das geben, was er will, dann sind sie auch erfolgreich.

Was wollen denn die typischen Kaffeehausbesucher im Jahr 2019?

Ilgemann: Traditionelle Ware in einem Ambiente, das sie zu Hause nicht haben. Wenn man ins Café geht, dann geht man aus – und trinkt nicht einfach nur einen Kaffee.

Ein klassisches Kaffeehaus gibt es nun nicht mehr in der Innenstadt. Was wird aus den Stammkunden von Grotemeyer?

Ilgemann: Ich denke, dass Issel, Mönnig und wir davon profitieren werden. Von diesen Cafés sind es schließlich nur 15 Minuten bis in die Innenstadt. Gestern habe ich in meinem Café mit einem Ehepaar gesprochen, das regelmäßig kommt. Die Frau sagte mit Blick auf Grotemeyer: „Jetzt haben wir unser zweites Stammcafé verloren.“ Ich habe daraufhin gesagt: „Dann sehen wir uns ja künftig doppelt so oft.“

In seinem Song „Aber bitte mit Sahne“ nimmt Udo Jürgens die Kaffeehauskultur aufs Korn. Was ist von damals geblieben?

Ilgemann: Den Leuten geht es nach wie vor darum, zu sehen und gesehen zu werden. Und sie möchten vom Personal persönlich angesprochen werden. Wir müssen also sehr serviceorientiert sein.

Derweil machen sich in den Innenstädten immer mehr Kaffeeketten wie „Starbucks“ breit. Hinzu kommen lokale Anbieter wie die „roestbar“. Bereiten Ihnen solche Entwicklungen Sorgen?

Ilgemann: Hinter der ­„roestbar“ stehen Individualisten, die ihre Sache gut und gerne machen. Das sind moderne Kaffeehäuser, die den Markt ergänzen – und nicht das klassische Kaffeehaus ersetzen. Bei uns trinkt man nach der Torte auch noch ein Likörchen. Oder einen Aperol Spritz. „Dresdener Goldwasser“ gibt es allerdings heute nicht mehr. Was Ketten wie „Starbucks“ betrifft: Das sind Unternehmen, die es sich leisten können, das Produkt Kaffee an teuren Standorten zu verkaufen. Mit klassischen Kaffeehäusern haben die natürlich nichts zu tun.

Wie sieht heute der klassische Kaffeehausgänger aus?

Ilgemann: Ich sage immer: Zu uns kommen Kunden von 16 bis 90. Die junge Mutter mit ihrer Tochter schaut ebenso vorbei wie die Freundinnen-Clique oder Familienrunden.

Nicht zu vergessen die älteren Damen.

Ilgemann: Genau. Sie kommen besonders gerne, um hier zu frühstücken. Da hat man nach hinten mehr Zeit – und muss im Winter nicht im Dunkeln nach Hause.

Was bedeutet das Kaffeehaussterben für die Innenstadt?

Ilgemann: Sie wird austauschbarer, unterscheidet sich immer weniger von anderen Innenstädten. Für einen Handwerksbetrieb, der zu 100 Prozent in Münster produziert, sind die Mieten nicht mehr zu erwirtschaften. Also folgen Ketten. Gerade für Einkaufstouristen wird die Innenstadt so immer unattraktiver.

Wie wird die Kaffeehauslandschaft in zehn Jahren aussehen?

Ilgemann: Die Inhaber der vier Cafés, die es noch gibt, sind ja noch relativ jung, 40 plus. Sie lieben ihren Job – und werden ihn wohl auch in zehn Jahren noch machen. Wichtig ist es, sich zu spezialisieren und individuell zu bleiben. Und ich bin sicher, dass die Leute weiter in die Kaffeehäuser kommen werden. Weil sie nicht einfach nur Kaffee trinken wollen, sondern Bock auf geile Torten haben.

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