Krankenpfleger Peter Ahaus erklärt
Wie der Beruf der Pflege attraktiver werden muss
Münster
Einen Mangel an Fachkräften in der Pflege gab es schon vor Corona. Welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um junge Menschen für den Beruf zu gewinnen, erklärt Krankenpfleger Peter Ahaus im Interview mit Tim Schaepers .
Seit einiger Zeit kann man den Beruf der Pflegefachfrau, des Pflegefachmanns studieren. Wurde die Hürde für den Beruf dadurch nicht noch höher?
Das Studium stellt eher eine Erweiterung dar und erhöht die Attraktivität des Pflegeberufs. Wir brauchen in der Pflege Karrierechancen. Grundsätzlich geht es darum, das Berufsfeld der Pflege aufzuwerten. Wir müssen gegenüber anderen Berufen, die man zum Teil im dualen Studium erlernt, wettbewerbsfähig bleiben. Es geht darum, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und eine zeitgemäße und attraktive Ausbildung vorzuhalten.
Das Studium ist eine Erweiterung des Berufs?
Die Herausforderungen in Pflegeberufen wachsen beständig. Die demografische Entwicklung ist mit einer stark zunehmenden Alterung der Gesellschaft verbunden und bedingt einen steigenden Pflegebedarf in der Bevölkerung. Das Krankheitspanorama verändert sich und chronische Krankheiten nehmen zu. Es gibt immer mehr Menschen in der Langzeitpflege sowie in der ambulanten Pflege, die pflegerisch versorgt werden müssen. Durch all diese Faktoren steigen die Anforderungen an eine qualitativ hochwertige Pflege. Die Nachfrage an gut ausgebildeten Pflegekräften mit hochschulischer Qualifikation steigt zunehmend.
Gibt es derzeit Stellen zu besetzen, die gezielt studierte Pflegerinnen und Pfleger suchen?
Bezüglich des Angebots haben wir in Deutschland Nachholbedarf: Man muss jungen studierten Menschen entsprechende Karrierewege anbieten. Im internationalen Vergleich sind wir im Rückstand.
Worin liegen die Unterschiede zwischen Studium und Ausbildung hinsichtlich der Inhalte und den Tätigkeiten später im Berufsleben?
Ich nenne ein Beispiel für mögliche Aufgaben: Die Pflegediagnostik, sprich die Fallsteuerung. Hier geht es darum, komplexe Fälle eigenverantwortlich und bestmöglich zu koordinieren und zu steuern. Zum Beispiel für Patienten mit hochkomplexen Erkrankungen benötigen wir Pflegeexperten, die ein verantwortliches „Case Management“ umsetzen. Wir sind als Pflegefachschule sehr froh, dass diese Prozesssteuerung im neuen Pflegeberufegesetz von 2017 verankert ist. Zum ersten Mal gibt es eine sogenannte „Vorbehaltstätigkeit“, dass die Pflegediagnostik, die komplexe Pflegeplanung, aber auch die Evaluation und Qualitätssicherung ausschließlich Pflegefachfrauen und Pflegefachmännern vorbehalten ist.
Das klingt sehr danach, als bedarf es dafür ein Studium.
Richtig. Das eröffnet in der Pflege neue Verantwortungsbereiche und erfordert dementsprechend qualifizierte Ausbildungen. Im Ausland beispielsweise in den USA, Kanada, Schweiz, Österreich, Island und den skandinavischen Ländern werden seit Jahren Pflegeexperten auf akademischem Niveau ausgebildet, sogenanntes „Advanced Practice Nursing“. Weitere Beispiele für spannende Berufsmöglichkeiten, die ich hier nicht vollständig aufzählen kann, bieten sich in der Familien- und Gemeindepflege, der Notfallversorgung, in der Gesundheitsvorsorge und -beratung, im Qualitäts- und Projektmanagement sowie in der Pflegeinformatik an.
Peter Ahaus
Die Erweiterung des Angebots orientiert sich demnach an Ländern, die größtenteils ein gutes Gesundheitssystem haben?
Ja. Wir bieten in Zusammenarbeit mit der FH-Münster das duale Studium „Bachelor of Science Pflege Dual“ an. Außerdem gibt es mit dem neuen Pflegeberufegesetz die Möglichkeit, ein grundständiges Studium „Pflege“ zu absolvieren und weiter die dreijährige klassische Ausbildung.
Ich stelle mir vor, wenn ich nun Pflegefachmann wäre, hätte ich vielleicht die Befürchtung, dass die Akademisierung meinen Job etwas abwertet. Wie siehst du das?
Das sehe ich nicht so. Zum einen haben wir einen hohen Pflegebedarf, aus dem ein hoher Personalbedarf resultiert. Zum anderen haben wir auch für Auszubildende einer grundständigen Ausbildung ein breit gefächertes Angebot mit spannenden Arbeitsfeldern. Es gibt kaum einen Ausbildungsberuf wie die Pflege, bei dem die Bereiche so vielschichtig sind: ambulante Pflege, Altenpflege, Kinderkrankenpflege, Psychiatrie, palliative Pflege und andere. Zudem gibt es nach der Ausbildung viele Möglichkeiten, sich in den genannten Praxisfeldern und darüber hinaus weiter zu spezialisieren und verschiedenste Fort- und Weiterbildungen zu absolvieren.
Bei den Ausbildungsberufen gab es unterschiedliche: die „normale“ Krankenpflege, Altenpflege und Kinderkrankenpflege. Die Ausbildung wurde vor wenigen Jahren generalisiert. Wieso hat man das gemacht?
Ein wichtiger Grund ist die Anerkennung im Ausland. Nirgends sonst gibt es eine Aufteilung der unterschiedlichen Pflegebereiche. Nur in Deutschland wurde die Pflege in verschiedene Lebensabschnitte gegliedert. Mit der generalisierten Ausbildung wird der Berufsabschluss aus Deutschland im Ausland erst anerkannt, was den Beruf wieder etwas attraktiver macht.
Ich denke, ein weiterer Vorteil ist, dass man sich noch nicht vor Beginn der Ausbildung entscheiden muss, in welchem Bereich man später tätig sein möchte?
Das stimmt. Durch die generalistische Ausbildung bereiten wir für die Pflege auf die gesamte Lebensspanne vor und während der Ausbildung lernen die Auszubildenden ein breites Spektrum an Praxisfeldern, Settings und Tätigkeiten kennen. Die Spezialisierung erfolgt dann nach der Ausbildung. Das ist in anderen Berufen auch der Fall.
Ich mache also eine Ausbildung und bin anschließend frei in meiner Wahl?
Das stimmt, allerdings muss mit Beginn der Ausbildung ein Ausbildungsträger ausgewählt werden. Mein Arbeitgeber kann zum Beispiel ein Seniorenheim, ein Krankenhaus oder ein ambulanter Dienstleister sein. Das sind drei verschiedene Bereiche: Langzeitpflege-, Akutpflege- und der ambulante Pflegebereich. Dadurch habe ich mit der Wahl schon eine Fokussierung für einen Praxisbereich. Mit dem Abschluss der Ausbildung habe ich jedoch die Möglichkeit, in jedem der Bereiche zu arbeiten.
Aus Statistiken geht hervor, dass Deutschland im Grunde ein gutes Gesundheitssystem hat. Die Realität zeigt hingegen ein anderes Bild, welches durch die Pandemie noch mal verdeutlicht und an die breite Gesellschaft herangetragen wurde. Was kann sich Deutschland von anderen Ländern abschauen, um die Situation für Pflegende und Gepflegte zu verbessern?
Das Wichtigste wäre ein anderer Personalschlüssel. Im skandinavischen Raum muss eine Pflegekraft deutlich weniger Menschen pflegen als in Deutschland. Derzeit gibt es viele Unmutsbekundungen und Belastungsanzeigen der Pflegekräfte, die zu einer Abwanderung aus dem Beruf führen. Wir müssen die Rahmenbedingungen deutlich verbessern. Pflegende brauchen verlässliche Arbeitszeiten. Im Ausland haben Pflegende zudem mehr Verantwortung und mehr Mitsprache. Dort verweilen sie nicht nur in der Assistenz, sondern können auf Augenhöhe mitgestalten.
Das ist der springende Punkt, nehme ich an. Aufgrund des Fachkräftemangels ist die Arbeit sehr stressig. Weil die Arbeit stressig ist, verlassen viele den Beruf oder fangen ihn gar nicht erst an? Welche Hebel gibt es noch, die man betätigen kann, um junge Menschen für diesen Beruf zu gewinnen?
Die Finanzierung der Krankenhäuser über Fallpauschalen hat dazu geführt, dass über 50.000 Stellen in der Pflege abgebaut wurden. Das muss seitens des Gesetzgebers geändert werden. Zudem muss es auch eine bessere finanzielle Unterstützung in der Ausbildung geben. Wir haben Auszubildende mit Migrationshintergrund und unterschiedlichen Bildungsabschlüssen. Für eine erfolgreiche Ausbildung benötigen Auszubildende heute gute Unterstützungsangebote. Mittlerweile haben wir Lernberater, eine zusätzliche Lernwerkstatt, Vertrauenslehrer und Schulsozialarbeiter. Die Schulen müssen zudem moderner werden, mit Raum für mehr praktische Simulationen und sogenannte „Skills Labs“. Ziel muss es sein, Auszubildende für den Beruf zu begeistern, ihnen zu zeigen, wie wichtig und wertvoll dieser Beruf ist.
Peter Ahaus
Dennoch hören so viele auf in der Pflege.
Wir wissen, dass Burnout und Berufsflucht bestimmte Gründe haben: schlechte Rahmenbedingungen, Arbeitsabläufe verdichten sich, häufige Überforderungen und damit verbunden zu wenig Zeit für die eigentliche Arbeit. Wenn ich zu meinem Patienten sage, „ich komme gleich wieder“, und am Ende der Schicht feststelle, ich konnte nicht wiederkommen, weil ich keine Zeit hatte, sorgt das für Frust. Man kann seinen Patienten, seinen Bewohnern nicht mehr gerecht werden und die erforderliche Pflegequalität nicht in ausreichendem Maße aufrechterhalten. Das frustriert und treibt Pflegende aus dem Job.
Zeit ist also nicht Geld. Zeit ist Wohlbefinden? Sowohl für Pflegende als auch für Gepflegte?
Ganz genau. Internationale Studien und Erfahrungen weisen aus, dass ausgebildetes Fachpersonal und eine hochschulische Qualifikation zu besseren Ergebnissen in der Krankenversorgung führen. Das zeigen auch entsprechende Mortalitäts- und Infektionsraten auf. Die radikalen Einsparungen und die Wirtschaftlichkeit führten zum großen Dilemma. Das gilt es, rückgängig zu machen und den Rückstand wieder aufzuholen.
Zumal die Gesellschaft immer älter wird?
Ganz recht. Die Pflegebedarfe in unserer Gesellschaft steigen bis 2030 um 50 Prozent. In der Pflege haben wir einen massiven Fachkräftemangel, – es gibt unterschiedliche Einschätzungen, aber alle sind sechsstellig, – in den nächsten 10 Jahren könnten bis zu 500.000 Pflegekräfte fehlen. Wir befinden uns bereits in einem Pflegenotstand mit dramatischen Auswirkungen. Wir stehen vor einer riesigen und für die gesamte Gesellschaft wichtigen Aufgabe und Herausforderung.
Bleibt zu hoffen, dass diese Aufgabe schnell und sorgfältig bearbeitet wird. Vielen Dank für das interessante Gespräch.
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