Bürgermeister Dr. Tobias Lehberg über Enapter, geplante Baugebiete – und Kalte Nahwärme
„Lücken im Netz wären teuer“
Saerbeck
Im Interview zum Jahresende erklärt Bürgermeister Dr. Tobias Lehberg, warum die Planungen für die neuen Baugebiete derzeit – zumindest dem Anschein nach – stocken, warum für Häuslebauer ein Anschluss an ein Kaltes Nahwärmenetz jetzt wohl doch zur Pflicht wird und die Ansiedlung des Elektrolyseur-Herstellers Enapter so wichtig ist für die Gemeinde.
Wenn es um die Frage geht, wann die Vermarktung der Grundstücke in den geplanten Baugebieten Alter Reiterhof und Hanfteichweg startet, will sich Bürgermeister Dr. Tobias Lehberg nicht festlegen. Derzeit wartet die Gemeinde auf Stellungnahmen und Gutachten. Dass ein Anschluss an ein Kaltes Nahwärmenetz für Häuslebauer – anders als anfangs angedacht – wahrscheinlich zur Pflicht wird, begründet er mit einer besseren Wirtschaftlichkeit. Im Interview zum Jahresende positioniert er sich außerdem zu dem Einzelhandelsstandort an der Industriestraße und blickt auf 2022.
Wie schätzen Sie die gegenwärtige Corona-Lage in Saerbeck ein?
Lehberg: Die Lage ist ernst. Auch wenn wir bislang relativ glimpflich davon gekommen sind, dürfen wir uns nicht zurücklehnen. Im Vergleich zu den früheren Varianten stellt Omikron eine andere Dimension dar. Nur durch Impfschutz, Vorsicht und Rücksichtnahme kann es gelingen, die Ausbreitung einzudämmen.
Ein weiteres Corona-Jahr geht in diesen Tagen zu Ende. Wie stark hat die Pandemie nach Ihrer Einschätzung die Saerbecker Wirtschaft getroffen?
Lehberg: Das hängt sehr stark von der Branche ab. Viele Firmen haben die Lockdowns gut überstanden, andere mussten deutliche Umsatzrückgänge verzeichnen. Mein Eindruck ist, dass vor allem das Handwerk bislang gut durch die Pandemie gekommen ist.
Wie hat sich Corona auf das gesellschaftliche Zusammenleben ausgewirkt?
Lehberg: Viele Veranstaltungen, die für einen gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgen, wurden ja abgesagt. Schützenfeste etwa, die Kirmes, der Adventsmarkt, Karnevalsumzüge und -sitzungen. Viele Vereine haben sich auf beeindruckende Weise ins Zeug gelegt, um ihre Mitglieder weiterhin zu erreichen.
Im September wurde der erste Spatenstich für den Enapter-Campus gesetzt. Dass sich der Elektrolyseur-Hersteller in Saerbeck niederlässt, so hört man, sei ein Glücksfall für die Gemeinde. Welche positiven Auswirkungen hat die Ansiedlung, die jetzt womöglich noch gar nicht absehbar sind?
Lehberg: Mit Enapter lässt sich nicht irgendein großes Unternehmen nieder. Die Produktion von grünem Wasserstoff ist Wachstumsmarkt Nummer 1. Jobs hätten auch andere Firmen geschaffen, die Arbeitsplätze bei Enapter sind aber innovativ. Die Firma passt zu Saerbeck als Klimakommune. Als neuer Standort für Wasserstoffindustrie kann der Campus weitere Ansiedlungen nach sich ziehen. Saerbeck besetzt einen bedeutenden Zukunftsmarkt, dessen Ausmaß heute noch nicht vollständig abzuschätzen ist.
In den vergangenen Jahren ist die Einwohnerzahl zunächst einmal zurückgegangen. Experten prophezeien nicht nur Saerbeck, sondern auch anderen Gemeinden in der Größenordnung eine schrumpfende Bevölkerung. Wann rechnen Sie mit einer Kehrtwende in der Entwicklung?
Lehberg: Statistische Daten sind mit Vorsicht zu genießen. Sie reflektieren vor allem die Vergangenheit. Aktuelle Entwicklungen spiegeln sie zeitverzögert wieder. Ich bin sicher, dass die neuen Baugebiete Hanfteichweg und Alter Reiterhof die Kehrtwende einläuten.
Sie waren anfangs der Ansicht, dass Bauherren nicht gezwungen werden sollten, sich an das Kalte Nahwärmenetz, das für die beiden Gebiete geplant ist, anschließen zu lassen. Seit dem Sommer steht fest, dass es eine Anschlussverpflichtung geben wird. Warum jetzt doch?
Lehberg: Die Voruntersuchungen haben deutlich gezeigt, dass es für den Einzelnen sehr viel günstiger ist, wenn sich alle anschließen. Lücken im Netz wären unverhältnismäßig teuer. Für eine Anschlussverpflichtung liegt ein Grundsatzbeschluss der Politik vor. Für die tatsächliche Umsetzung ist ein weiterer Ratsbeschluss erforderlich.
Schrumpft die Bewerberliste für die Grundstücke, wenn die Käufer sich verpflichten müssen, mit dem Anbieter des Netzes einen Versorgungsvertrag abzuschließen?
Lehberg: Davon gehe ich nicht aus. Kalte Nahwärme ist ein erprobtes System, das dem einzelnen Hauseigentümer eine sehr zuverlässige, umweltfreundliche und günstige Heizung ermöglicht.
Wann beginnt die Vermarktung der Grundstücke?
Lehberg: Prognosen gebe ich nicht ab. Im Bauleitverfahren haben wir einige wichtige, aber noch nicht alle Etappen genommen. Hier gilt Sorgfalt vor Schnelligkeit. Den Einwendungen, die derzeit vorliegen, müssen sorgfältig abgewogen. Ein fehlerhafter Bebauungsplan, der dann womöglich langwierig gerichtlich überprüft würde, würde niemandem etwas bringen.
Das Verfahren scheint sich hinzuziehen.
Lehberg: Der Eindruck mag entstehen, ist aber nicht zutreffend. Wir warten derzeit im Rahmen des Beteiligungsverfahren auf Gutachten und auf Stellungnahmen. Der Fahrplan ist klar, wann aber der Zug weiter fahren kann, liegt nicht in der Hand der Gemeinde.
Verwaltung und Politik haben lange an dem Kriterienkatalog für die Vergabe der Grundstücke gearbeitet. Anfangs gab es die starke Befürchtung, dass Saerbecker und Saerbeckerinnen das Nachsehen haben könnten. Meinen Sie, dass die neue Vorgehensweise mittlerweile auf Akzeptanz stößt?
Lehberg: Ja. Das System ist sehr transparent. Wir haben eine gute Übergangslösung gefunden, bei der für einen Teil der Grundstücke noch die alten Kriterien gelten. Und es ist deutlich geworden, dass Saerbecker und Saerbeckerinnen nicht schlechter gestellt sind. Junge Familien aus dem Dorf haben bei den neuen Kriterien teilweise sogar deutlich bessere Chancen.
Wie geht die Weiterentwicklung des Einzelhandelstandortes an der Industriestraße voran?
Lehberg: Ich führe weiterhin zahlreiche Gespräche. Derzeit bieten sich verschiedene Möglichkeiten. Die Industriestraße ist eine Top-Lage mit viel Entwicklungspotenzial. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine Lösung finden, die für alle Beteiligten von Vorteil ist.
... auch für die Raiffeisen-Genossenschaft?
Lehberg: Es wird immer eine Gesamtlösung mit der Genossenschaft geben. Nicht ohne sie.
Welche Themen werden 2022 beherrschen?
Lehberg: Das 900-jährige Dorfjubiläum. Für die Feierlichkeiten sind in der Verwaltung schon zahlreiche Ideen eingegangen. Sie sind hoffentlich eine gute Gelegenheit, wieder mit den Bürgern zusammenzukommen. Politisches Thema Nummer 1 sind die Baugebiete. Sie haben absolute Priorität. Wir werden alles daran setzen, dass die Grundstücke so schnell wie möglich vergabereif werden.
Sie sind jetzt mehr als ein Jahr im Amt. Welche dicken Bretter mussten Sie schon bohren?
Lehberg: Die neuen Kriterien für die Vergabe von Baugrundstücken und der Entscheidungsprozess, die neuen Baugebiete mit Kalter Nahwärme zu versorgen, waren sicherlich große Herausforderungen. Im Rahmen des durchaus langen politischen Prozesses galt es dicke Bretter zu bohren. Das würde ich aber nicht als negativ betrachten. Am Ende hält die Schraube in dem dicken Brett auch besser.
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