1. www.muensterschezeitung.de
  2. >
  3. Nachrichten
  4. >
  5. Kultur
  6. >
  7. Daheim in der Völkermühle Europas

  8. >

Am Niederrhein

Daheim in der Völkermühle Europas

Krefeld/Münster

Heimat? Ein Stück Heimat hängt in der Küche. Gerahmt, hinter Glas – und macht ein „Ferkesfreut“. Was für ein „Amüsemang“, wenn Besucher „bedröppelt“ vor dem Plakat stehen. „Pardong“, kann der Niederrheiner dem Westfalen da nur sagen: „Nix för onjoot, aber die Sprache da auf dem Plakat, das ist Heimat!“ Die Begriffe in der bunten Wortwolke verraten einiges über den Niederrhein(er) – und über die Form von Heimat, die in der Sprache liegt.

Martin Ellerich

Kopfweiden und Sonnenball am Niederrhein: Die Landschaft und ihre Sprache inspirierten schon den Niederrheiner Hanns Dieter Hüsch zu allerlei melancholischen Betrachtungen. Foto: dpa

„Ubier, Römer un Franzose, jottweißwer leet ir’ndjet he“, hat BAP-Sänger Wolfgang Niedecken einst getextet. Wie vor ihm schon Carl Zuckmayer seinen „Teufels General“ Harras alle aufzählen lassen hat, die in der „Völkermühle Europas“, am Rhein, „gelebt, gerauft, gesoffen, gesungen und Kinder gezeugt“ hatten. Germanen, Römer und Franzosen, alle haben etwas hiergelassen – Gene, Wörter und damit auch ein Stück Lebenseinstellung. Denn die spiegelt sich in der Sprache.

Die deutsche Sprache sei „my true homeland, meine wahre Heimat“, hat Thomas Mann am 29. Mai 1945 im US-Kongress gesagt. Da ist die Terrorherrschaft der Nazis erst drei Wochen zu Ende. Deutschland liegt in Trümmern, aber seine Muttersprache nicht – glaubt offenbar der exilierte Autor.

Victor Klemperer dürfte das anders gesehen haben. Während der NS-Zeit, die der Romanist dank der Treue seiner nichtjüdischen Frau in Dresden überlebte, analysierte er in seiner „Lingua Tertii Imperii“ (Sprache des Dritten Reiches), wie die Nazis seine Muttersprache vergewaltigten. Er wollte „aus ihrer Sprache ihren Geist festhalten“. Eine Sprache, in der Wörter wie „fanatisch“ ins Positive umgewertet werden, in welcher der Superlativ und das Militärische regieren. Die NS-Ausdrücke hätten sich „tief eingefressen“, mahnt Klemperer 1945 eine Entnazifizierung auch der Sprache an.

Krefelder Mundart

Was macht den niederrheinischen Singsang so sympatisch? Lesen Sie hier.

Leider ist auch richtig, dass manche NS-Sprachverwirrung als erstes ausgerechnet im rheinischen Singsang erklang – aus dem Mund von Propagandaminister Joseph Goebbels, eines gebürtigen Rheydters.

Online-Special

In einer Serie widmet sich unsere Zeitung dem Thema Heimat. Weitere Geschichten finden Sie in unserem  Online-Special.

Dennoch: In der Mundart überleben andere Wörter aus anderen Zeiten. Fremde Wörter eingemeinden, so etwas macht der Rheinländer „uut de Lamäng“. Das schüttelt er aus dem Ärmel, wie die freie Übersetzung der Redewendung von dem bunten Plakat lautet. „Krieewelsch“, das Krefelder Platt, ist „picke­packevoll“ mit fremden Wörtern. Französisch hat sich „pö a pö“ breitgemacht in den Mündern der Niederrheiner. Der Krefelder Großvater wählte selbstverständlich das französische Substantiv für Gehsteig – auch wenn „Trottoir“ bei ihm vom Verb „trotten“ zu kommen schien: „Trottowahr“.

Am Strom haben die Herren so oft gewechselt, dass die Obrigkeit den Menschen dort kein „Muffesause“ (Angst) macht. „Alles wat en Kapp aufhat, dat taugt nix“, sagte der Opa und meinte mit „Kapp“ alle Schirmmützen vom Schaffner bis zum Schutzmann – zuweilen gar das Birett des einen oder anderen Pfarrers.

Katholizismus ist hier der „normale Glaube“, das Verhältnis zum „lieve Jott“ ein direktes: Der Moerser Kabarettist Hanns Dieter Hüsch, der niederrheinischste aller Niederrheiner obwohl von Haus aus evangelisch, behauptete stets, er habe den „lieben Gott“ kürzlich getroffen – auf dem Fahrrad und mit „Manchesterhose an“.

Oder der Satz: „Isch wollt et jrad jemacht han, Chef!“ (Ich wollte es gerade gemacht haben): Wie analysiert Hüschs Kollege Konrad Beikircher einmal so schön: Da ist – in Gedanken – alles erledigt, obwohl der Kerl noch keinen Finger gerührt hat. Wenn Sprache das Bewusstsein bestimmt, dürfen Westfalen ihre Vorurteile bestätigt sehen: Sie müssen halten, was der Rheinländer verspricht. Der hat seinen Teil ja schon erledigt – in Gedanken.

Startseite
ANZEIGE